Die Dekanülierung von tracheotomierten Patienten ist ein entscheidender Schritt in ihrer Rehabilitation und Genesung. Dabei spielt die Verwendung von Sprechventilen eine wesentliche Rolle, insbesondere bei der Wiederherstellung des physiologischen Luftflusses und der Unterstützung der Kommunikations- und Schluckfähigkeit.
Dieser Blogbeitrag bietet einen umfassenden Überblick über die Anwendung und Auswahl von Sprechventilen im Rahmen des Dekanülierungsmanagements.
Eine Tracheotomie stellt für Patienten eine enorme körperliche und psychosoziale Belastung dar. Sie führt nicht nur zu erheblichen Einschränkungen in der verbalen Kommunikation, sondern auch zu einer Isolation und reduzierten sozialen Teilhabe, was häufig Frustration und Depressionen verursacht. Eine möglichst rasche Dekanülierung kann diesen Zustand erheblich verbessern.
Schnellstmögliche Dekanülierung bei maximaler Sicherheit des Patienten
Ein Hauptziel der Dekanülierung ist die Wiederherstellung der normalen Luftstromleitung über die oberen Atemwege, was für die Atmung, das Schlucken und die Kommunikation essenziell ist.
Bei einer Tracheotomie werden die oberen und unteren Atemwege funktionell getrennt. Die Atmung erfolgt ausschließlich über die Kanüle, wodurch die wichtigen Funktionen der Nase, wie Filtern, Befeuchten und Erwärmen der Atemluft, entfallen. Außerdem ist der subglottische Druck, der für eine sichere Nahrungsaufnahme und eine effektive Hustenfunktion unerlässlich ist, bei tracheotomierten Patienten stark reduziert oder fehlt gänzlich. Dieser Druck spielt eine entscheidende Rolle beim Schutz der Atemwege während des Schluckens.
Eine geblockte Trachealkanüle kann die Larynxbewegungen und die Kehlkopf-Hebung einschränken und so die Schutzmechanismen beim Schlucken beeinträchtigt. Zudem ist die Hustenstärke bei tracheotomierten Patienten schwächer, was die Mobilisiation und die Expektoration von Sekret erschwert. Der fehlende Luftstrom reduziert darüber hinaus die sensorische Stimulation des Larynx. Auch dadurch werden Schutzreflexe, wie Husten oder Räuspern geschwächt.
Ein weiterer Effekt ist die gestörte Atem-Schluck-Koordination: Trachealkanülen-Patienten schlucken bei der Einatmung. Dadurch wird die Schlucksicherheit gefährdet. Zudem kann der Cuffdruck auf die Speiseröhre ausüben und diese komprimieren. Nahrung und Flüssigkeit gelangen durch die Verengung der Passage nur schwer in den Magen.
Eine geblockte Trachealkanüle erhöht, unabhängig von der Grunderkrankung, also das Risiko für Aspirationen und die Entwicklung einer Dysphagie.
Ein Sprechventil besteht aus einer festen Hülle und einer beweglichen Membran, die während der Einatmung öffnet und bei der Ausatmung schließt. Dadurch wird die Atemluft bei entblockter Kanüle und Verwendung eines Sprechventils über den Kehlkopf geleitet, was das Stimmbildung ermöglicht. Sprechventile sind ein entscheidender Schritt im Dekanülierungsprozess, da sie die Phonation unterstützen und wichtige Atemwegs- und Schluckfunktionen wiederherstellen.
Die richtige Wahl der Trachealkanüle ist von großer Bedeutung. Sie sollte in Größe, Länge und Biegungswinkel optimal an den Patienten angepasst sein. Es muss genug Platz zwischen Trachea und Trachealkanüle bestehen, um eine effiziente und anstrengungsfreie Atemstromleitung zu gewährleisten. Für einen optimalen Luftfluss ist außerdem ein vollständig entblockter Cuff wichtig.
Trotz der zahlreichen Vorteile des Einsatzes von Sprechventilen gibt es auch Kontraindikationen, die beachtet werden müssen. Dazu gehören z.B. unkontrolliertes Erbrechen oder eine bestehende Pneumonie, wodurch das Risiko für Komplikationen erhöht ist.
Die Verschlusskappe stellt einen weiteren wichtigen Schritt im Dekanülierungsprozess dar. Im Gegensatz zum Sprechventil, das nur bei der Ausatmung den Luftstrom umleitet, wird bei der Verschlusskappe die Kanüle komplett verschlossen, sodass die gesamte Atmung wieder über Mund und Nase erfolgt. Dies stellt eine höhere Atemarbeit für den Patienten dar, da der Totraum der oberen Atemwege wieder genutzt wird.
Wichtig: Die Verschlusskappe darf nicht bei laryngektomierten Patienten verwendet werden, da keine Verbindung mehr zwischen unteren und oberen Atemwegen besteht und der Patient somit nur noch über das Stoma ein- bzw. ausatmen kann.
Im interdisziplinären Setting spielen Sprechventil und Verschlusskappe auch eine wichtige Rolle. Durch die Kontrollfunktion der Glottis (z.B. das Schließen oder Öffnen der Stimmbänder) kann die Stabilität des menschlichen Rumpfes sowie der Gleichgewichtssinn positiv beeinflusst werden. Die Stabilität des Rumpfes sorgt etwa für eine aufrechte Sitzhaltung und damit für eine bessere Atmung und verstärkt wiederum die Haltung und Stabilität des Rumpfes.
Diesen Benefit machen sich beispielsweise Physio- und Atmungstherapie zu Nutzen. Mit dem Sprechventil/der Verschlusskappe wird die Voraussetzung für den thorakalen Druckaufbau wieder hergestellt.
Ein häufiges Missverständnis besteht darin, dass Sprechventile ausschließlich der Phonation dienen. Tatsächlich unterstützen sie auch die Schluckfunktion erheblich, da sie die physiologische Atem-Schluck-Koordination wiederherstellen, einen subglottischen Druckaufbau möglich machen und durch den wiederhergestellten Luftstrom über die oberen Atemwege die translaryngeale Sensibilität verbesseren. Für sicheres Schlucken muss ein Ventil oder eine Kappe auf der entblockten Kanüle verwendet werden.
1. Atmen: Der Patient sollte in der Lage sein, spontan und ohne invasive Beatmung zu atmen. Der Atemweg muss intakt und frei von Obstruktionen sein, also ohne geschwollene Strukturen oder Granulationsgewebe. Der Patient sollte außerdem infektfrei sein, insbesondere ohne pulmonale Infekte.
2. Schlucken: Es muss sichergestellt sein, dass der Patient seinen Speichel sicher schlucken kann. Die Kontrolle über den Speichel sollte mittels FEES (Fiberendoskopische Evaluation des Schluckens) beurteilt werden. Eine FEES vor Dekanülerung kann die Rekanülierungsrate senken. Die Fähigkeit, Nahrung zu schlucken, beeinflusst die Dekanülierung nicht direkt, sollte aber ebenfalls evaluiert werden.
3. Sekrethandling: Der Patient muss in der Lage sein, Sekret effektiv zu mobilisieren und abzuhusten. Eine niedrige Absaugfrequenz und ein effektiver Hustenstoß, gemessen durch Peak-Cough-Flow (ideal bei 270 l/min für Dysphagiepatienten), sind Indikatoren für eine angemessene Sekretbewältigung. Die Menge, Farbe und Konsistenz des Sekrets sollten ebenfalls berücksichtigt werden, da eine hohe Sekretproduktion sowie zähes Sekret auf mögliche Probleme nach der Dekanülierung hinweisen können.
Vor der Dekanülierung sollte immer der individuelle Patientenwille sowie die zugrunde liegende Grunderkrankung, z.B. bei progredienten Erkrankungen, berücksichtigt werden.
Die richtige Auswahl und Anwendung von Sprechventil, Verschlusskappe und Kanüle mit Phonationsöffnung sind entscheidend im erfolgreichen Dekanülierungsprozess. Sie ermöglichen nicht nur die Wiederherstellung der Kommunikationsfähigkeit, sondern unterstützen auch wichtige physiologische Funktionen der Atmung und des Schuckens.
Das medizinische Fachpersonal spielt eine entscheidende Rolle bei der individuellen Anpassung und Überwachung dieser Hilfsmittel, um eine sichere und effektive Dekanülierung zu gewährleisten. Die enge Zusammenarbeit im interdisziplinären Team ist dabei unerlässlich, um den optimalen Behandlungsverlauf zu gewährleisten und die Patienten bestmöglich zu unterstützen.
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